Nietzsche und der Antichrist

Nietzsche in Naumburg
Friedrich Nietzsche (1844-1900), einer der bedeutendsten Philosophen, war der Sohn eines evangelisch-lutherischen Pfarrers. Dieser starb mit 35, als der Junge fünf Jahre alt war. Die Familie musste das Pfarrhaus verlassen und zog von Röcken ins 25 Kilometer entfernte Naumburg um (beide Sachsen-Anhalt). Als Schüler im dortigen Domgymnasium und dann vor allem im Internat von Schulpforta entwickelte er sich famos, besonders in den altsprachlichen Fächern. Nach der Bonner und Leipziger Studienzeit wurde der 24-Jährige 1869 Professor in Basel. Noch in Leipzig hatte er den Komponisten Richard Wagner (1813-1883) kennengelernt, mit dem ihn die Verehrung für Arthur Schopenhauer (1788-1860) verband. Dieser Philosoph hielt den triebhaften Willen für wirkmächtiger als den vernünftigen Geist. In Nietzsches früher Schrift "Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik" (1872) kehren die beiden Mächte als Apollo (Gott des Scheins) und Dionysos (Gott des Rausches) wieder. Sechzehn Jahre später gehören "Der Antichrist" und "Ecce homo" zu seinem Spätwerk, das er mit der Paarung "Dionysos gegen den Gekreuzigten" gewissermaßen abschließt. In den darauffolgenden Wochen identifiziert er sich in privaten Botschaften abwechselnd mit diesen beiden Leitgestalten, ehe er Anfang 1889 in geistige Umnachtung fällt. Die Rede vom Antichrist (nach Luthers Übersetzung: Endchrist), geht auf den seine Jünger mit folgenden Worten warnenden Jesus zurück: "Es werden sich erheben falsche Christusse und falsche Propheten, die Zeichen und Wunder tun, so dass sie die Auserwählten verführen würden, wenn es möglich wäre." Die Nachgeschichte dieser Worte ist die sich hinziehende Endzeit. Sie bringt es mit sich, dass im Grunde jeden Christen und Nichtchristen der Verdacht, der Antichrist zu sein, treffen kann: bereits der "falsche Messias" Jesus für die auf einen anderen wartenden Juden, der römische Kaiser für die verfolgten frühen Christen, sämtliche von der Kirche als Ketzer Verurteilte, in reformatorischen Zeiten umgekehrt das Papsttum und so fort. Ist es nicht auch antichristlich, wenn sich außer Jesus noch überhaupt irgend jemand "Christ", also "Christus" nennt? Nietzsche hat auf seinem denkerischen Niveau diesen christlich-antichristlichen Doppelsinn des letzten Menschseins zu spüren bekommen. Dass es sich so mit uns verhält, ist kein Wunder.

Bildquelle: O. Fischer / pixelio.de4

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